Einstieg in den Mauerweg

Frohnau - Wilhelmsruh (16 km)


In den schönen Hinterhof bei Christas Wohnung scheint die Sonne, der Frühstückstisch ist gedeckt mit allem, was der Wanderer braucht. Um kurz nach 9 Uhr stehen Dieter und ich mit leichtem Gepäck vor der Haustür und lassen uns von Christa zu Beginn unserer 12-tägigen Mauerweg-Exkursion fotografieren. Auf dem Foto erkennt man sofort unseren Tatendrang und fünf Minuten später stehen wir auf dem Bahnsteig der U-Bahn-Haltestelle Rüdesheimer Platz, den wir in den nächsten Tagen jeden Morgen anlaufen werden, um an den jeweiligen Startpunkt unserer Tagesetappe zu kommen.


Dreimal müssen wir heute Morgen umsteigen, bis wir den Bahnhof Frohnau, unseren ersten Ablaufpunkt im Norden Berlins, erreicht haben. Fast eine Dreiviertelstunde brauchen wir bis dorthin, aber es wird unsere längste Fahrtstrecke sein für die nächsten Tage. Damit sind wir aber noch nicht am Mauerweg. Erst etwa drei Kilometer vom Bahnhof entfernt ist es so weit. 

Bei der Straße Am Sandkrug stoßen wir auf einen besonderen Punkt der Berliner Mauergeschichte. Diese ruhige, enge Anwohnerstraße, links und rechts gesäumt von kleinen Einfamilienhäusern, galt 40 Jahre lang als ein trauriges Kuriosum. Wie ein "Entenschnabel" ragte zu Mauerzeiten diese Straße mit ihren Grundstücken von Glienicke (DDR) nach Frohnau (West-Berlin) hinein. Auf engstem Raum waren die Menschen von Mauer und Grenzstreifen umzingelt. Besucher, Handwerker, Ärzte oder Lieferanten durften die Siedlung nur mit einer Sondererlaubnis betreten. Zum ersten Mal kommt jetzt bei mir so etwas wie Beklemmung auf. Was war das für ein Leben, fast ringsum von einer absoluten Todeszone umgeben zu sein. Oft habe ich in Fernsehdokumentationen gesehen oder im Internet gelesen: "Wir hatten uns darin eingerichtet" oder "Wir Jüngeren kannten es ja nicht anders" oder "Der Zusammenhalt war damals viel besser als heute". Was ein menschenverachtendes Regime fertigbringt.

Bald darauf gehen wir das erste Mal mitten durch einen ehemaligen Todesstreifen. Am Rand des Naturschutzgebiets Tegeler Fließ, das eine eiszeitliche Abflussrinne ausfüllt, umgeben von einer Sumpflandschaft, marschieren wir auf dem ehemaligen Kolonnenweg, von Sanddünen begleitet und von jungen Birken, die vor 26 Jahren hier noch nicht stehen durften. Das Schussfeld musste frei bleiben. Als wir an einem etwas heruntergekommenen Holzpavillon vorbeikommen, liegt ein paar Meter davor ein Mann lang ausgestreckt und völlig reglos im gelben Sand. Er scheint sich im vollkommenen Entspannungsmodus zu befinden, vielleicht sogar zu schlafen, einen Menschen aber hier, im ehemaligen Minenfeld in dieser hingestreckten Körperhaltung zu sehen, führt zu einem leichten Schaudern.

Nach Querung der Blankenfelder Chaussee kommen wir zu einem anderen Schandmal deutscher Geschichte. Was heute nach einem friedlich daliegenden Acker aussieht, über dem gerade eine Lerche immer höher in den Himmel steigt, befand sich von 1941 bis 1945 ein "Krankensammellager für arbeitsunfähige Ostarbeiter", Männer und Frauen aus der Sowjetunion, die zur Zwangsarbeit ins Deutsche Reich verschleppt worden waren. Für den "Arbeitseinsatz" nicht mehr verwendbar, waren die Menschen in diesem Lager katastrophalen hygienischen Bedingungen, mangelhafter Versorgung und fehlender ärztlicher Betreuung ausgesetzt. Bis heute sind mindestens 700 Todesfälle nachweislich bekannt.

Nicht weit von hier ist der "Checkpoint Qualitz". Ein Bauer dieses Namens aus dem naheliegenden Lübars, einem Ort, der sich seinen Dorfcharkter auf Berliner Stadtgebiet bis heute erhalten hat, durchbrach an dieser Stelle der Blankenfelder Chaussee am 16. Juni 1990, also 219 Tage nach dem Fall der Mauer, mit seinem Trecker die Mauer und öffnete damit wieder die Chaussee zwischen West- und Ost-Berlin.

In der Ferne sehen wir den 368 m hohen Fernsehturm am Alexanderplatz, nicht ganz so weit vor uns die Betonburgen des Märkischen Viertels, einem Wohnviertel für 40.000 Menschen. Die Menschen, die hierher zogen, mussten bald feststellen, dass sie nun in unmittelbarer Nachbarschaft zur Mauer wohnten, die sich unmittelbar unter vielen Fenstern entlangzog. Es wird erzählt, dass viele von ihnen spontan und unorganisiert eine eigene Protestform entwickelten. Manchmal wurden den Grenzposten vom Balkon aus Schilder entgegen gehalten, worauf stand: "Kommt doch rüber". Auf nächtliche Schüsse reagierten sie mit dem Heraushängen weißer Laken und Tücher.

Unsere erste Etappe auf dem Mauerweg endet am S-Bahnhof Wilhelmsruh, unmittelbar an der ehemaligen Mauer. Zu DDR-Zeiten war der Bahnhofseingang an der Ostseite zugemauert, nur Westberliner Bürger konnten den Bahnhof nutzen. Heute geht man wieder wie selbstverständlich von beiden Seiten in den Bahnhof hinein.






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Kommentare: 1
  • #1

    Sebastian (Mittwoch, 15 April 2015 20:00)

    Die ersten Schritte sind getan. Viele werden folgen! Genieße das offenbar hervorragende Wetter und viel Spaß auf der nächsten Etappe!