Weniger Mauer - mehr Natur

Volkspark Potsdam - Kladow (17 km)

Verschlafen! Na prima! Ausgerechnet heute, wo wir mal ein paar Kilometer länger gehen müssen und unsere An- und Abreisen auch etwas länger dauern als sonst, höre ich meinen Wecker nicht. Kunststück, ich hatte ihn ja auch nicht gestellt! Ein kleiner Trost ist wieder mal das sensationell gute Wetter. Es ist schon fast unheimlich, jeden Morgen beim Frühstück draußen einen blauen Himmel zu sehen, aber es schlägt sich sehr auf die gute Laune nieder. Deswegen gehen wir auch trotz aller Verspätung gutgelaunt aus dem Haus.

Es ist schon fast 11 Uhr, als wir in der Nähe vom Volkspark Potsdam die Straßenbahn verlassen und losmarschieren. Wer den Blog bisher aufmerksam verfolgt hat, dem wird aufgefallen sein, dass dieser heutige Startpunkt nicht dem gestrigen Etappenziel S-Bahnhof Griebnitzsee entspricht. Den Grund versuche ich zu erklären: Die Etappe Griebnitzsee - Volkspark Potsdam soll am kommenden Samstag die letzte Etappe auf unserer Mauerweg-Wanderung sein, denn sie ist mit acht Kilometern die weitaus kürzeste. Außerdem wollen wir an diesem Tag nach Beendigung der Wanderung nach Werder fahren, das mit dem Zug nur wenige Minuten westlich von Potsdam liegt und wo am Wochenende das in der ganzen Region hinein berühmte Blütenfest stattfinden wird. Hätten wir die normale Reihenfolge der Etappen durchgehalten, müssten wir einige Kilometer mehr machen, bevor wir uns dem Fest widmen könnten.

So, das geht mir ja jetzt fast so langsam auf den Geist. In regelmäßigen kurzen Abständen schreit Dieter aus Christas Wohnzimmer "Toooooor!!!!" Und ich muss wieder rennen. Vorab habe ich mir gesagt: "Während der ersten Halbzeit schreibst du noch am Blog, die zweite Halbzeit schaust du dir auch an". Mittlerweile haben jetzt die Bayern in ihrem Champions-League-Rückspiel gegen Porto bereits fünf Tore dem armen Torwart in seinen Kasten gezirkelt, Dieter kommt aus dem Brüllen gar nicht mehr raus und es ist noch nichtmal Halbzeitpause. Na ja, wenn ich gleich mit vor der Kiste hänge, schießen vielleicht die Portogiesen fünf Dinger.

Nach der langen Fahrerei mit Bus, Bahn und Tram geben wir richtig Gas. Eigentlich ist der größte Teil der heutigen Strecke eine Luxusbeigabe. Wären wir dem Verlauf der damaligen politischen Grenze zwischen BRD und DDR annähernd treu geblieben, hätten wir uns kurz nach dem Griebnitzsee an der Glienicker Brücke in eine Fähre gesetzt und wären damit über den Wannsee Richtung Sacrow geschippert und hätten uns damit einen Riesenumweg um den großen Jungfernsee, den Lehnitzsee und den Krampnitzsee erspart. Aber der Berliner Mauerweg führt nicht umsonst und ganz bewusst um diese Seenkette herum. Bis auf die ersten Kilometer, die der Weg noch an einer Hauptverkehrsstraße entlangzieht, ist der Rest des Weges ein herrlicher Abschnitt durch lichten Buchenwald, meist mit Blickkontakt auf die Seen und vor allem mal ohne Asphalt. Heute steht einfach mal die Natur im Vordergrund des Mauerweges und nicht die ehemalige Mauer und das schlimme Schicksal vieler Menschen, die mit ihr leben mussten bzw. dies eben nicht mehr wollten und dafür mit ihrem Leben bezahlen mussten. Der Kopf ist einfach mal frei von beklemmenden Empfindungen, wir genießen den Weg, die Rast am Seeufer oder draußen vor einem kleinen Restaurant, die Sonne, die fast schon zu sehr wärmt.

Aber ganz ohne geht es doch nicht. Ganz in der Nähe von der Stelle, wo die Fähre aus Richtung Glienicker Brücke anlandet, steht innerhalb des Sacrower Schlossparks und unmittelbar am Seeufer die Heilandskirche. Die Kirche mit dem Säulenumgang und dem Campanile wurde 1844 eingeweiht und war für die Potsdam-Sacrower Bevölkerung zu Mauerzeiten weder zugänglich noch zu sehen, da sie durch den Grenzstreifen mit der Mauer vom Dorf abgetrennt war. Von West-Berlin aus war sie über den See hinweg zwar sichtbar, aber unerreichbar in der scharf bewachten Todeszone. 

Nur für kurze Zeit war die Heilandskirche nach dem Mauerbau noch als Gotteshaus genutzt worden. Da die Grenztruppen verhindern wollten, das über das Kirchengelände die Flucht durch die Havel gelingt, wollten sie den Gottesdienst in dieser Kirche unterbinden. Wenige Tage nach dem letzten Gottesdienst am Heiligen Abend 1961 demolierten sie die gesamte Inneneinrichtung und zerstörten auch die Orgel. Danach fand 28 Jahre lang kein Gottesdienst mehr statt. Hinter der Mauer verfiel der Bau zusehends. Durch eine 1984/85 durchgeführte und von Westseite finanzierte Rettungsaktion wurden Dach und Außenfassade zwar saniert, aber die Kirche durfte immer noch nicht betreten werden. Erst nach dem Mauerfall 1989 wurde zu Weihnachten, nach fast drei Jahrzehneten, vom selben Pfarrer wie damals wieder ein Gottesdienst abgehalten.

Entlang der schmalen Straße Richtung Kladow wächst Bärlauch in Hülle und Fülle und schwängert die Luft mit seinem bekannten knoblauchähnlichen Duft. Hobbykoch Dieter ist ganz aus dem Häuschen und pflückt einiges davon in seine leere Provianttüte. Es gibt wirklich nicht vieles, wofür er sich freiwillig längere Zeit bückt, aber der Bärlauch schafft es. Heute Abend gibt es also Dieters "Spaghettis an Bärlauch".

Das Fußballspiel ist vor etwa einer Viertelstunde zu Ende gegangen. Zwei Tore durfte ich auch noch sehen, eins für jede Mannschaft.

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Kommentare: 1
  • #1

    Der Kronprinz (Donnerstag, 23 April 2015 17:17)

    Tztz, kaum ist Wolle weg, hält der Schlendrian Einzug...