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Griebnitzsee - Volkspark Potsdam (8 km)

Unweigerlich der letzte Wandertag auf dem Mauerweg! Die Strecke von Griebnitzsee bis zum Volkspark Potsdam hatten wir ja bewusst ausgelassen, um nach dieser sehr kurzen Etappe noch nach Werder zum dortigen Eröffnungstag des Blütenfestes zu fahren. Um spätestens gegen 13 Uhr wollen wir von Potsdam aus die zehn Minuten bis nach Werder fahren. Das Wetter hält sich hoffentlich, aber ein Wetterumschwung ist für die nächtsten Tage vorhergesagt.

Christa lässt es sich nicht nehmen, die letzten acht Kilometer mit uns zu gehen. Gegen 9.30 Uhr sind wir am Bahnhof Griebnitzsee, und ich muss leicht vor mich hin schmunzeln, als wir auf den Bahnhofsvorplatz treten und ich die leeren Stühle bei dem kleinen Bahnhofsbistro sehe. Vor ein paar Tagen hat noch Wolfgang mit Dieter dort gesessen und sich seelig ein Weizenbier reingepfiffen, nachdem er die Strecke des Tages endlich geschafft hatte.

Christa, Dieter und ich sind in wenigen Minuten am Seeufer. Tatsächlich ist es für wenige hundert Meter möglich, den Uferweg zu gehen, exakt dort, wo einst von der DDR-Führung die Grundstücke enteignet und die Mauer gebaut wurde. Dann ist damit wieder Schluss. Die Villenbesitzer wollen nicht mehr von popeligen Spaziergängern oder Mauerweg-Wanderern belästigt werden. Um ein bleibendes Wegerecht für die Öffentlichkeit wird nach wie vor mit den alten und den neuen Grundstücksbesitzern gestritten. 

Genau hier, am Ufer des Griebnitzsees, lebten in den 1920er und 1930er Jahren prominente Künstler und Schauspieler, die wegen ihrer jüdischen Herkunft emigrieren mussten. Ebenso wohnten hier aber auch während der Potsdamer Konferenz im Sommer 19 45 die Staatsmänner der aliierten Siegermächte. Im "Haus Erlenkamp" residierte der amerikanische Präsident Harry S. Truman, etwa 500 m weiter steht die "Churchill-Villa" als Residenz für den britischen Premierminister Winston Churchill und seinen Nachfolger Attlee. Der sowjetische Generalissimus Josef W. Stalin wohnte in der "Villa Herpich", weitere 800 m weiter. Die "großen Drei" besuchten sich nur seeseitig mit Schiffen und benutzten eine eigens errichtete Ponton-Brücke, um zum Schloss Cecilienhof, dem Verhandlungsort, zu gelangen. Schon ein merkwürdiges Gefühl für mich, dort entlangzulaufen, wo diejenigen Männer zeitweilig wohnten, die den Verlauf der Geschichte Deutschlands für Jahrzehnte bestimmten. Sie hatten damals nicht die Teilung Deutschlands in DDR und BRD, geschweige denn den Mauerbau beschlossen, dennoch schufen sie dafür die Grundlage. Die Ursache dafür aber ging von einem Deutschen aus, von einem Größen-Wahnsinnigen.

Am Nordrand vom Park Babelsberg sehen wir auf der anderen Seite eines engen Wasserlaufes, der den Griebnitzsee mit dem Tiefen- und dem Jungfernsee verbindet, einige Häuser liegen, zu denen nur eine kleine Brücke führt, die Parkbrücke. Was heute nur noch idyllisch aussieht, war zu Mauerzeiten ein besonderes Beispiel dieses Grenzirrsinns. Die Häuser gehören zu Klein Glienicke. Der Ort mit seinen heutigen 500 Einwohnern war eine winzige Insel der DDR auf der West-Berliner Seite. Er war nur drei Hektar groß, in etwa schmetterlingsförmig in seinem Umriss, umgeben von Mauer und Klassenfeind - die schmalste Stelle war nur 15 m breit - und der am schwierigsten zu kontrollierende Abschnitt an der Mauer. Vor der Parkbrücke stand eine Kontrollstelle, ohne Passierscheine und Begleitung durch die Grenzsoldaten ging nichts, Besuche nur bei monatelanger vorheriger Antragstellung. Jede Leiter musste stets angeschlossen sein, sie könnten ja zur Flucht genutzt werden. Wegen dieser Einschränkungen zogen vor allem jüngere Leute fort. Leerstehende Häuser wurden sofort abgerissen. Im Juli 1973 gelang dennoch zwei Familien durch einen 19 m langen, nur mit Kinderschaufeln und Spatenblatt gegrabenen Tunnel vom Keller ihres Hauses die Flucht nach West-Berlin.

Wie es damals in diesem kleinen Ort aussah, kann man sich überhaupt nicht mehr vorstellen, Fotos zeigen nahezu surreale Zustände. Jetzt vermittelt er den Eindruck, dass es sich hier wieder gut leben lässt.

Fünf Minuten später stehen wir vor einem weiteren Bauwerk, das wie kaum ein anderes für die Teilung Berlins steht: die Glienicker Brücke. Von der DDR-Regierung nach ihrer Neuerrichtung infolge von Kriegsschäden "Brücke der Einheit" genannt - warum, wussten wohl auch nur sie - wurde sie aber bereits 1952 wieder für die Öffentlichkeit geschlossen, so dass sie nach dem Mauerbau jahrzehntelang die Brücke der Spaltung war. In der Mitte der Brücke ist heute noch der Rest einer weiß gezogenen Linie quer über die Straße zu erkennen. An dieser "Grenzübergangsstelle Potsdam" durfte die Brücke nach dem Mauerbau nur von Mitarbeitern der west-alliierten Militärmissionen, Privatpersonen mit Sondererlaubnis und später auch von in der DDR akkreditierten Diplomaten genutzt werden. Den Nimbus der "Agentenbrücke" hat sie durch den Austausch des KGB-Agenten Rudolf Abel gegen den amerikanischen Piloten Francis Powers erhalten, der während eines Spionageflugs über der Sowjetunion abgeschossen worden war. Nach diesem Tausch kam es nur noch 1985 und 1986 zu vergleichbaren Aktionen. Doch die Faszination des Grenzübergangs blieb ungebrochen. 1989 war die Glienicker Brücke eine der beiden ersten zusätzlichen Übergangsstellen, die schon am Tag nach dem Mauerfall, am 10. November1989, geöffnet wurde. Wir drei Mauerwanderer schlendern langsam hinüber, machen einen großen Schritt über die weiße Linie in der Mitte, was früher nur so wenigen vorbehalten blieb und sind auch schon in Potsdam.

Von der Glienicker Brücke ist es nicht mehr weit bis zum Neuen Garten und zum Schloss Cecilienhof, dem Verhandlungsort der Potsdamer Konferenz. Wir alle drei waren in der Vergangenheit schon mal hier zu einer Besichtigung, deshalb schenken wir uns dies jetzt, aber eine kleine Rast muss sein. Kaum haben wir uns bei einem kleinen Imbissstand an einem Gartentisch niedergelassen, werden wir auch schon fast von Busladungen voll Touristen überrollt. Japaner und US-Amerikaner hauptsächlich, auch Spanier, Holländer. Wir essen zu unserem Kaffee oder Cappuccino schnell unsere mitgebrachten Brötchen und sehen dann zu, dass wir Land gewinnen.

Eine halbe Stunde später sind wir an der Tram-Haltestelle am Volkspark Potsdam, gratulieren uns zur vollendeten West-Berlin-Umrundung auf dem Mauerweg, stehen eine weitere halbe Stunde später auf einem Bahnsteig des Potsdamer Hauptbahnhofs und warten auf den Zug nach Werder zum Baumblütenfest. Auf dem Bahnsteig sammeln sich immer mehr Menschen und der Durchschnitts-IQ fällt gewaltig. Viele junge Leute stehen in Gruppen zusammen und "glühen vor". Muskelshirts, Sonnenbrillen und Bierflaschen bestimmen das Bild und mir wird etwas unwohl. Gerate ich hier in einen Abklatsch des Münchener Oktoberfestes? Der Zug fährt ein - er ist brechend voll. Nur wenige schaffen es einzusteigen, dann schließen sich wieder die Türen. Ich bin regelrecht geschockt. In so einen überfüllten Zug will ich jetzt nicht rein, zumal es mittlerweile recht warm, sogar drückend geworden ist. Dem Zug würde ich wie ein lauwarmer Waschlappen in Werder wieder entsteigen, dann für Stunden Hullygully um die Ohren - mir graust. Dieter und Christa sind auch alles andere als begeistert, aber Bärbel, Christels Schwester, ist schon in Werder und wartet. Doch mein Entschluss steht fest: Ich fahre "nach Hause" nach Wilmersdorf, einen ruhigen Nachmittag verbringen. Christa und Dieter nehmen den nächsten Zug nach Werder.

Als ich am späten Nachmittag aus meinem erholsamen Nickerchen erwache, liegt auch Dieter in seinem Bett. Er und Christa haben nur Bärbel abgeholt und sind dann auch heimwärts geflüchtet. Zum Ersatz für versäumte Festfreuden gönnen wir uns einen höchst vergnüglichen Abend in einer Berliner Kneipe, mit Akkordeon- und Gitarrenmusik und viel, viel Gesang, wo es sich auch Dieter als alte Band-Rampensau nicht nehmen lässt, zur Gitarre zu greifen und alte Zeiten heraufzubeschwören. Ein Abschluss für Berlin, wie er eigentlich nicht schöner sein kann.

Morgen früh machen wir uns auf nach Leipzig, unserer Zwischenstation auf dem Weg zum Grünen Band.

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Kommentare: 3
  • #1

    Der Kronprinz (Montag, 27 April 2015 17:51)

    Also das in der Kneipe hätte ich mir ja zu gerne angehört...

  • #2

    Die Pilgertochter (Dienstag, 28 April 2015 13:21)

    Glückwunsch zum ersten Teilstück! Und weiter geht's!

  • #3

    Muskelshirt (Donnerstag, 21 Mai 2015 13:56)

    Vielen Dank für diese wertvolle Information, ich hoffe, es ist okay, dass ich mit Lesezeichen Ihrer Website für weitere Hinweise.