Keine Gewalt!

Erst nachmittags nach 14 Uhr fährt unser Zug in Richtung Vogtland, dorthin, wo morgen unser Weg auf dem Grünen Band Deutschland beginnen wird. Zeit genug, um nochmal in die Innenstadt zu gehen, in aller Ruhe, so rumbummeln halt. Unser Gepäck dürfen wir wieder bis zu unserer Abreise in der Hotellobby lassen.

Obwohl es ziemlich bewölkt ist, ist es noch recht warm. Jedenfalls warm genug, um noch im Hemd durch die Straßen zu laufen. Eigentlich haben wir gestern auf unseren Rundgängen durch den Innenstadtbereich alles gesehen, was Leipzig an historischen Orten zu bieten hat, nur in der Thomaskirche und der Nikolaikirche waren wir noch nicht. 

Wenn ich früher von der Thomaskirche in Leipzig hörte, dachte ich an die Wirkungsstätte von Bach und an die "Heimat" des Thomanerchores. In der Kirche lese ich nochmal vieles über das Leben und Wirken von Bach, über seine hier in Leipzig komponierten Werke und über die Art und Weise, wie er hier im Altarraum seine letzte Ruhestätte fand. Ich lese von der Geschichte des Thomanerchores, der zur Zeit Bachs aus 54 Sängern bestand und dem heute ca. 110 Kinder und Jugendliche im Alter von 9 bis 18 Jahren angehören. Diesem reinen Jungenchor obliegt besonders die Pflege der Werke Bachs, gesungen in den sonntäglichen Gottesdiensten, und die jährlichen Aufführungen des Weihnachtsoratoriums und im Wechsel die Matthäus- und die Johannespassion.

Zur Nikolaikirche zog es mich aber mehr, dorthin, wo die Friedliche Revolution in der DDR mit den montäglichen Friedensgebeten wohl ihre Keimzelle hatte. Sie begannen bereits im kleineren Kreis zu Beginn der 1980er-Jahre, an jedem Montag um 17 Uhr. Friedens- und Umweltgruppen waren die treibenden Kräfte. Zu mancher Zeit waren die Friedensgebete nur von einer kleinen Schar von Betern getragen. Doch immer wieder gab es aktuelle Anlässe, wo sich viele aus Protest zu bestimmten Entwicklungen versammelten. Besonderer Druck entstand, als die Welle der Bürger, die ihre Ausreise aus der DDR beantragt hatten, zunahm und diese - oft Nichtchristen - keine andere Möglichkeit besaßen, als sich in der Kirche zu treffen und auszutauschen.

Die Spannung wuchs, als Montag für Montag die Kirche außen von Polizeikräften umstellt wurde, die den Kirchenvorplatz, den Nikolaikirchhof, von "illegalen Ansammlungen" räumten. Im September 89, als die einen forderten "Wir wollen raus" und die anderen bekannten "Wir bleiben hier", kam es zu weiteren Verhaftungen. Doch nun bekannten sich auch mehr und mehr Leipziger zu der Entwicklung. Tagsüber wurden die Fenster der Kirche mit Blumen geschmückt, abends brannten zahlreiche Kerzen. Die Haltung der Gewaltlosigkeit griff über von den Hunderten, die in den Kirchen zum Friedensgebet zusammenkamen, auf die Tausende, die sich dann Anfang Oktober auf dem Platz und den Straßen davor versammelten.

Die staatlichen Behörden verstärkten den Druck. Montag für Montag kam es zu Verhaftungen bzw. "Zuführungen" im Zusammenhang mit den Friedensgebeten. Trotzdem stieg der Andrang der Besucher. Am 7. Oktober, dem 40. Jahrestag der DDR, schlugen 10 Stunden lang Uniformierte auf wehrlose, sich nicht wehrende Menschen ein, transportierten sie in Lastwagen ab. Hunderte wurden in Pferdeställe gepfercht. Dann kam der alles entscheidende 9. Oktober. Ein schauriges Gewaltszenario von Armee, Kampfgruppen, Polizei und zivilen Beamten war aufgeboten. Trotz dieser Bedrohung ging das Friedensgebet in einer unglaublichen Ruhe und Konzentration vonstatten. Kurz vor dem Schluss wurde noch der Appell des Gewandhauskapellmeisters Professor Masur und anderer verlesen, die zur unbedingten Gewaltlosigkeit aufriefen. Als die 2000 Menschen aus der Kirche herauskamen, warteten draußen Zehntausende auf dem Platz. Sie hatten Kerzen in den Händen. Und wenn man eine Kerze trägt, braucht man beide Hände, um sie vor dem Auslöschen zu schützen. Da kann man nicht gleichzeitig noch einen Stein oder Knüppel in der Hand halten.

Das Wunder geschah. Sowohl auf dem Kirchenvorplatz als auch während des sich anschließenden Demonstrationszuges auf dem Innenstadtring blieben die Massen absolut gewaltlos. Armee, Kampfgruppen und Polizei wurden einbezogen, in Gespräche verwickelt, zogen sich zurück. Nur wenige Wochen dauerte diese Phase der gewaltlosen Bewegung und brachte doch die Partei- und Weltanschauungsdiktatur zum Einsturz. Mit Sicherheit wäre dies alles ohne die neue Politik Michael Gorbatschows in der Sowjetunion und seine klare Botschaft an die DDR-Regierenden, dass jedes Land seine Probleme selbst zu klären habe, nicht möglich gewesen. Und dennoch darf dies die gewaltige historische Leistung der Leipziger nicht schmälern.

Horst Sindermann, Mitglied des Zentralkomitees der SED, sagte vor seinem Tod: "Wir hatten alles geplant. Wir waren auf alles vorbereitet. Nur nicht auf Kerzen und Gebete."

Zum Abschied von Leipzig essen wir noch jeweils ein großes Eis in einem Leipziger Eissalon, schnappen uns dann in unserem Hotel unser Gepäck und ziehen zum Bahnhof. Inzwischen ist es empfindlich kühler geworden, dunkle Wolken bedecken den ganzen Himmel. Das Wetter fängt offensichtlich an umzuschlagen. Im Zug Richtung Gera schlägt schon Regen gegen die Fensterscheibe. In Gera müssen wir eine halbe Stunde auf die Vogtlandbahn warten, die uns nach Bad Elster bringen soll. Auf dem Bahnsteig pfeift der Wind und es wird immer kälter, man kann es von Minute zu Minute förmlich fühlen. Hinter Gera verändert sich die Landschaft. Nicht mehr die Ebenen von Berlin oder Leipzig, es wird hügeliger. Unplanmäßig müssen wir den Zug in Elsterberg verlassen, Schienenersatzverkehr bis Barthmühle. Ein Kleinbus klappert mit uns und anderen auf kurvenreicher Strecke bergauf und bergab. Am Ortsbeginn von Connersgrün sagt uns eine Mitfahrerin stolz, dass dort drüben, da in dem ockerfarbenen Haus, mal Angela Merkel gewohnt hätte. Ich zeige mich tief beeindruckt und frage sie, ob denn nicht mittlerweile Wallfahrten dorthin führten. Sie lacht lauthals, wünscht uns eine schöne Wanderung und steigt aus. In Barthmühle tun wir es ihr nach, denn der kleine Triebwagen der Vogtlandbahn steht wieder am Bahnsteig des winzigen Bahnhofs bereit, um uns endlich nach Bad Elster zu bringen.

Ich melde mich telefonisch bei unserer Unterkunft. So ist es verabredet. Der Bahnhof liegt weit außerhalb des Ortszentrums, daher möchte man uns vom Bahnhof abholen. Wir sollten doch bitte schon in Adorf aussteigen, ab dort sei wieder Schienenersatzverkehr. Als wir in Adorf aussteigen, steht schon ein älterer Herr in Bereitschaft, schüttelt uns die Hände und stellt sich als "Windecker" vor. Na das ist ja ulkig! Ein Windecker trifft Herrn Windecker im Vogtland. Ein gutes Omen für die nächsten Tage!?

Hat Mami Merkel wirklich mal in Connersgrün gewohnt? Mir ist nur Templin in der Uckermark als ein früherer Wohnort von ihr bekannt. Ich muss das mal googeln.

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Kommentare: 2
  • #1

    Die Pilgertochter (Dienstag, 28 April 2015 17:03)

    Huhuuu!!! Also Papa, deine Erzählungen über die friedlichen Demonstrationen schaffen es, mir eine Gänsehaut über den Rücken und einen Kloß in den Hals zu treiben. Da schaffst du es also am Ende doch noch, mich mit Geschichte zu beeindrucken! Und ich habe mal gegoogelt. Die gute Frau Merkel könnte entweder in frühester Kindheit oder in ihrer Studentenzeit, also um ihren Aufenthalt in Templin, in Connersgrün gewohnt haben. Allerdings find ich keine klaren Angaben dazu.

  • #2

    Joe (Mittwoch, 29 April 2015 22:35)

    Connersgrün existiert doch gar nicht.