Die Saale entlang

Hirschberg - Blankenstein (16 km)


Frau Weitermann stellt uns mit einem Türklopfen unser Frühstück vor die Zimmertür. Ein großes Tablett voll all der schönen Dinge, die man für ein gutes und reichhaltiges Frühstück braucht. Es ist nicht nötig, sich heute zu hetzen, nur 15 Kilometer sollen es heute werden bis Blankenstein. Wir lassen uns also Zeit. Als ich bezahle, bin ich erstmal baff. Zusätzlich zu unserem Zimmerpreis stellt sie uns ganze 10 € in Rechnung für unser komplettes Abendessen incl. fünf Flaschen Bier. Ich bin begeistert. Dann schlägt sie mir für den Beginn der heutigen Route noch eine Wegealternative vor. "Gehen Sie zuerst nicht auf dem Kolonnenweg, der ist morgens noch sehr nass und vielleicht glitschig. Gehen Sie runter bis zur Saalebrücke und wenden sich dann nach rechts auf den Saale-Radweg. Dem folgen Sie bis Rudolphstein und treffen dort wieder auf den Kolonnenweg. Diese Empfehlung habe ich bisher noch allen Grüne-Band-Wanderern gegeben." 


Unmittelbar vor dem Abmarsch muss ich feststellen, dass mein Wheelie einen Defekt hat. Schon gestern fielen Dieter und mir merkwürdige Geräusche auf, die wir uns aber nicht erklären konnten. Jetzt sehen wir das Malheur. Eine Schraube hat sich gestern unbemerkt gelockert und ist abgefallen. Einsam liegt sie jetzt irgendwo auf dem Kolonnenweg. Doch die Schraube hat wichtige tragende Teile meines Gefährts zusammenzuhalten, deswegen ist dringend eine Reparatur angesagt. Glücklicherweise habe ich noch eine passende Ersatzschraube tief unten in meiner Gepäcktasche. Also alles wieder auspacken, die Schraube aus dem kleinen Plastikbeutel holen, Schraube reindrehen, Plastikbeutel mit den notwenigen Schraubenschlüsseln wieder wegpacken - fertig. Endlich kann es losgehen, eine halbe Stunde später als zur Sollzeit!


Wie von Frau Weitermann empfohlen gehen wir runter zur Brücke, die sich direkt bei dem ehemaligen Verwaltungsgebäude der aufgegebenen Lederfabrik, heute ein Museum, über die Saale spannt. Neben dem Gebäude liegt die weite Fläche, auf der die ganzen Fabrikationshallen standen. Auf einem großen Bild erkennen wir die Ausmaße dieser riesigen Fabrikanlage, auf zwei Seiten umgeben von der Grenzmauer, die sich unmittelbar am Saaleufer entlangzog. Heute ist dort im Prinzip nur eine grüne Wiese.


Der Saale-Radweg , dem wir nun folgen, ist nichts anderes als eine schmale, gut asphaltierte Straße, die zunächst dem Saaleufer auf der bayerischen Seite folgt. Früher hatten westliche Zollbeamte oder Spaziergänger auf diesem Abschnitt auf der anderen, der thüringischen Seite, immer die Mauer vor Augen, wie sie sich ewiglang an der Saale entlangzog. Ein sicherlich bedrückender Anblick. Nach einiger Zeit steigt der Weg bzw. das Sträßchen beständig bergan, entfernt sich etwas von der Saale. Unser Kreislauf kommt in Gang, trotz noch kühler Temperaturen bricht Schweiß aus. Dieter schnaubt neben mir wie ein Walross, hält aber tapfer mit mir mit. Überhaupt muss ich sagen, dass er sich gut schlägt. Für einen Wander-Novizen recht erstaunlich.


Dann hören wir das Rauschen einer Autobahn vor uns, die A9 ist es, von Berlin nach Nürnberg. Wir unterqueren sie durch eine kleine Unterführung, steigen dann endgültig recht steil und unter Einsatz meiner Wheelie-Bremse wieder zur Saale hinab und erreichen Sparnberg. Der Ort liegt hier in einem Saale-Knick. Da der Fluss auch hier die Grenze markierte, waren die Häuser auf zwei Seiten vom Grenzzaun eingeschlossen. Der Ort lag im absoluten Sperrgebiet, in der 500 m - Schutzzone. Die Brücke, über die man früher in den Nachbarort Rudolphstein jenseits der Saale gelangte, wurde zu DDR-Zeiten natürlich abgerissen. Kurz nach der Wende hat man die alte Ortsverbindung wieder hergestellt und eine Holzbrücke gebaut. Als wir an ihr vorübergehen, fährt gerade ein Auto rüber und es rappelt und poltert kräftig.


Nochmals geht es kurz bergauf ins bayerische Rudolphstein, aber kaum sind wir oben, geht es auch schon wieder hinunter zur Saale und über eine blaue Fußgängerbrücke erneut auf die thüringische Seite. Mit diesem doppelten Grenzgang haben wir gerade eine große Saaleschleife abgeschnitten. Die kleine blaue Fußgängerbrücke hat eine besondere Vergangenheit. Sie steht hier anstelle einer alten, Mitte des 19. Jahrhunderts gebauten überdachten Holzbrücke, die zum ehemaligen Rittergut und Mühlenstandort Saalbach führte. Das Gut war ein beliebter Ausflugsort, wo selbst gebrautes Bier ausgeschenkt wurde, und so kamen nicht nur Ausflügler aus den thüringischen Nachbarorten, sondern auch aus Bayern. Anfang der 50er-Jahre wurde die Idylle ein Opfer des DDR-Grenzregimes. Die Familie des Gutsbesitzers wurde zwangsweise umgesiedelt. Zu dieser Zeit existierte die Brücke schon nicht mehr. Sie war gegen Ende des Krieges von der zurückweichenden Wehrmacht abgebrannt worden.


Ab jetzt hat uns der Kolonnenweg wieder. So schnell entkommen wir ihm nicht. Doch heute zeigt er sich uns fast friedlich, als wolle er was gutmachen. Nahe am Saaleufer zieht er mit uns entlang, zwischen den beiden parallelen Lochbetonreihen lässt es sich gut gehen, zwischen den Löchern wachsen manchmal kleine Gänseblümchen und an den Seiten sind die Wiesen gelb vom Löwenzahn. 


Etwas später sehen wir auf der bayerischen Seite die Gebäude der Blumenaumühle. Die Mühle produziert seit Anfang des 20. Jahrhunderts Strom und die Besitzer des Wasserkraftwerks haben darauf geachtet, dass möglichst viel Wasser durch den Mühlenkanal fließt. Und so bleibt für die alte Saale, die immer noch die Landesgrenze bildet, nicht viel Wasser übrig. Erst später treffen das Bett der Saale und der Mühlenkanal wieder zusammen.


Auf Höhe der Blumenaumühle verlassen wir den Kolonnenweg wieder und dürfen dafür wieder ansteigen, kurz und recht knackig hinauf nach Pottiga. Schon bald sehen wir vor uns die Attraktion des Ortes: die Aussichtsplattform, die auf dem Wachhügel steht, einem Steilhang über dem Saaletal. Eine Stahlkonstruktion ragt wie ein riesiges Sprungbrett von der Höhe über den Hang hinaus. Als wir japsend oben sind, steigen wir eine flache Gitterrosttreppe hinauf auf luftige Höhe. Am Ende des weit ausladenden Stegs blicken Dieter und ich tief hinunter auf das Saaletal und die Blumenaumühle. Ein Wunder eigentlich, dass der Ausguck noch nicht von Bungee-Springern entdeckt worden ist. Der Wind pfeift ordentlich hier oben, und da seit einiger Zeit sich die Sonne auch hinter dicken Wolken verzogen hat, wird es Dieter entschieden zu ungemütlich und er lässt mich mit der grandiosen Aussicht alleine. Als er wieder am Fuß der Plattform steht, ruft er mir zu: "Hier unten ist es direkt wieder viel wärmer!" Ja, Dieter, ich komm ja schon...


Hinter Pottiga senkt sich der Weg durch einen Wald bald wieder dem Tal zu. Wir kommen nach Blankenberg, anschließend nach Blankenstein. In gewisser Hinsicht gehören beide Städtchen irgendwie zusammen. Blankenberg und Blankenstein waren berühmt für ihre Fabriken, die Holz aus dem Thüringer Wald und dem Frankenwald zu Papier verarbeiteten. Bei der Fabrik in Blankenberg wurde zu DDR-Zeiten Pergamentrohpapier hergestellt, das im Hauptwerk in Blankenstein zu Butterbrotpapier verarbeitet wurde. Damals war das Ufer der Saale komplett abgeriegelt, auch die Fabrik in Blankenberg war abgeschottet, zwischen Fabrik und Ort verlief der Grenzsignalzaun. Auf das Werksgelände kam nur, wer eine Sondererlaubnis hatte. Drei Jahre nach der Wende wurde die Fabrik stillgelegt, zum Teil abgerissen, dann unter Denkmalschutz gestellt. Seitdem ist man immer noch damit beschäftigt, was blieb, wieder instandzusetzen.


Bei der alten Werksanlage bzw. bei dem, was davon übrig ist, stoßen wir auf die "Pferdebahn", die früher Rohstoffe in kleinen Wagen, von Pferden gezogen, auf schmalen Schienen 2,5 km weit bis zum Hauptwerk nach Blankenstein transportierte. Die Schienen verlaufen heute noch parallel zur Saale, wo die neue Zellstofffabrik steht. Die Spuren der ehemaligen Grenzbefestigung sind hier noch sehr deutlich. Die Grenzzaunpfosten stehen noch unmittelbar neben den Schienen, allerdings zur Hälfte gekürzt. 


Wir kommen nach Blankenstein, wo der Rennsteig beginnt - oder endet. An der Stelle, wo an einem Baumtorso einige Paare alter Wanderschuhe hängen, die vielleicht tapfere Wanderer hier deponiert haben, nachdem sie nach vielen Kilometern ihre Rennsteigwanderung beendet hatten, überqueren wir eine kleine Holzbrücke und absolvieren auf einer Landstraße die letzten eineinhalb Kilometer bis zu unserer Unterkunft, dem Gasthof Blechschmidtenhammer.


Zum Abendessen werden wir in ein Nebenzimmer verfrachtet. Im eigentlichen Gastraum tagt eine Gesellschaft, ein 90. Geburtstag. Ein Posaunenchor spielt auf: einen Kirchenchoral nach dem anderen. Zu meinem 90. Geburtstag hätte ich gern eine Beatles-Revival-Band!




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Kommentare: 1
  • #1

    Der kronprinz (Samstag, 02 Mai 2015 15:08)

    An deinem 90. bist du doch längst in Alaska oder so...